TEIL V- Tag 3 (vor dem offiziellen Corona-Testergebnis)

Tag 3  (vor dem offiziellen Corona-Testergebnis)

Ingrid sprintet an diesem Dienstagmorgen schon wie ein junges Fohlen zwischen Nähmaschine und Küchenmaschine hin und her. Immer wieder muss ich sie zurück auf den Sessel bitten. Es ist, als ob sie den Berg hinunterrennt und ich ihn hoch. Die Nacht selbst verlief für mich beschissen. Ich wurde um ein Uhr wach, bin zur Toilette gegangen und anschließend nicht mehr eingeschlafen. Um drei schlich ich dann leise hinunter ins Wohnzimmer. Ich wollte Ingrid nicht im Nähzimmer wecken. Erst habe ich mich etwas durch die Fernsehsender gezappt. Später von der Couch auf den Sessel gewechselt und noch später von dort an den Esstisch. Schon früher hatte ich Probleme und Schmerzen, wenn ich viel liegen musste. Ich kann mich kaum an eine starke Erkältung zurückerinnern, in der ich mehr als drei Tage im Bett verbracht habe. Ich quälte mich dann stets in der Wohnung umher und legte mich letztendlich in der Nacht auf den harten Fußboden. Schmerzen sind es nicht. Es sind Beschwerden. Wie Zahnbeschwerden. Aber solche, bei denen man hofft, sie gehen vorbei und machen einen Zahnarztbesuch unnötig. Zwischenzeitlich lese ich das Hamburger Abendblatt. Das lenkt etwas ab. Eine Nachricht zeigt mir, dass jemand Interesse an einem von mir inserierten Effektpedal hat. Ich schreibe ihm um fünf in der Früh zurück. Sicher denkt er, ich komme von der Nachtschicht oder bin von Beruf Krankenpfleger. Die Kopfschmerzen werden vom dauerhaften Blick durch eine Lesebrille auf ein iPad-Display nicht besser. Ich trinke etwas O Saft und teste einen von Ingrids Froops. Lecker! Sie hat einen exzellenten Geschmack. Das hat man schon bei der Wahl des Ehemanns gesehen, denke ich. Das Lachen über meinen Scherz fällt mir schwer. Ich öffne die Haustür und atme die kühle, saubere Nachtluft ein. Der Bewegungsmelder erkennt mich und plötzlich stehe ich im Rampenlicht. Wie auf einer Bühne. Zum Glück ist niemand auf der Straße. Ich stehe ungekämmt, im ‚Born an der Saar‘ Hoodie und in einer Jogginghose vor der Tür. Früher scherte man sich nicht so sehr über Aussehen und Kleidung. Von der Bundesstraße dringt kaum Straßenverkehr zu mir nach oben. Das empfinde ich als sehr angenehm. Ich lege mich wieder ins Bett und quäle mich so lange, bis ich höre, dass Ingrid aufsteht und nach mir sieht. Ich erzähle ihr von meiner Nachtschicht. Sie beschwert sich, dass ich sie nicht geweckt habe. Verlangt einen erneuten Corona-Test von mir. Sie hat recht und ich erfülle ihr den Wunsch. Um acht Uhr früh an diesem Morgen tauchen zwei dünne Balken auf dem Kaufland-Corona Test für 1 Euro 75 auf. Hätte etwas finanzieller Mehreinsatz und somit ein vielleicht hochwertigerer Test aus der Apotheke auch dickere Balken bedeutet? Ich bin hin und hergerissen. Einerseits war es klar, dass es so kommen würde. Anderseits hatte ich noch ein Fünkchen Hoffnung, dass es sich um eine Herbstgrippe handeln könnte. Ich mache per Handy  einen Termin im Testcontainer beim Supermarkt für 08.40 Uhr. Wechsele von Jogging in Thermo-Unterwäsche und Lederjacke. Draußen scheint die Sonne so intensiv, dass sie mich auf dem E-Roller zur Teststation stark blendet. Der Container ist gerade frei von Kundschaft und eine junge Frau macht mir den Test. Nach wenigen Minuten Wartezeit steht fest, dass der billige Discounter-Test seinen Dienst, wenn auch nicht optisch, dafür aber technisch richtig gemacht hat. Es folgt das große Ganze: Der PCR Test. Die nette Frau warnt mich, den Stick nun in beide Nasenlöcher und noch in den Rachen führen zu müssen. Ich unterdrücke den dummen Spruch: ,Zum Glück nicht in weitere Öffnungen‘ und lasse es über mich ergehen. Im Fernsehen sah es schlimmer aus. Menschen würgten und ich hatte großen Respekt davor. War glücklich, solange davon verschont geblieben zu sein. Aber es war gar nicht so schlimm. Bei der Straße am Parkplatz gab es gerade einen kleinen Auffahrunfall. Die Sonne war schuld. Aber kein Personenschaden. Zum Glück. Das Test-Ergebnis wird mir, wie das von Ingrid, später per Mail übermittelt. Auch ich möchte das Ergebnis öffentlich. Ich rolle zurück. Beim Frühstück werden bei meiner lieben Frau Pflegekräfte wach. Genau nach der fast offizieller Bestätigung, dass auch ihr Gatte an Corona erkrankt ist.  Ihre Beschwerden zeigen sich nur noch so weit, dass sie alle Stunde ächzend und schlapp auf den Fernsehsessel herniederfällt. Dazwischen ist sie irgendwo im 107 qm Wohnfläche großen Haus verschwunden. Der Gitarrist hat schon überwiesen. Wie kommt es? Wochenlang hat niemand Interesse an meinem Angebot. Und nun, wo ich krank und apathisch hier rumliege, muss ein Päckchen zur Post. Ich schleppe mich zum Computer und drucke einen Paketschein aus. Das kleine Pedal in einen zigarrengroßen Karton ist schnell verpackt, der Aufkleber drauf. Ich erinnere mich an den Service der Post, das Paket beim Zusteller abgeben zu können. Das trifft sich gut. Gerade klingelt der Zusteller in gelb-schwarz. Ich ziehe die Maske über und öffne die Haustür. Er trägt kurze Hosen und zieht eine arg gestresste Miene. An der Hauswand lehnt in einem halben Quadratmeter Karton meine neue Gitarre. Er will schon wegrennen. Ich stoppe ihn mit dem Satz: „Könnten Sie bitte das Paket mitnehmen. Ist schon frankiert!“ „Ich bin krank und komme nicht aus dem Haus“, füge ich noch hinzu. Der Mann bremst seine Flucht. Sein Gesichtsausdruck vermittelt mir eine Art Vorstufe eines Burn-Outs. Ich bin mir der Schuld bewusst, dass er, würde ich keine Pakete mehr versenden, mehr Zeit für andere, wichtigere Dinge hätte. Er belehrt mich unten im Kaufland gäbe es einen DHL-Shop. Ich erinnere mich an die unnötige Auseinandersetzung mit der Verkäuferin a. D.  des Brotes wegen, wenige Tage zuvor. Ich erkläre noch mal freundlich, aber bestimmt, dass ich krank bin und nicht aus dem Haus kann. Das Wort Corona möchte ich nicht nennen. Noch gibt es ja Hoffnung. für mich Ein letzter Versuch der Ausrede, sein gelber elektrifizierter Golf-Caddy sei voll beladen, lässt mich unter der Maske grinsen. Ich zeige auf das Paket an der Hauswand und mache ihm den Platz im Post-Caddy deutlich, der durch die Auslieferung meiner Gitarre freigeworden ist. Er knickt ein. Ich folge seiner Aufforderung, das Paket auf die Stufen der Treppe zu legen. Er druckt den Beleg aus und legt ihn ab. Es hat etwas von konspirativer Übergabe. Aber ich bin das Paket los.

Am Nachmittag erreicht Ingrid die Mail aus dem Labor. Nun hat sie es schwarz auf weiß: Sie ist Corona Positiv. Bekommt auch ein Zertifikat. Ähnlich einer Auszeichnung. Super! Mich erschlägt das alles. Erst diese Bestätigung und nun das Warten auf mein eigenes Testergebnis. Zu den Kopf- und Rückenschmerzen, der erhöhten Temperatur, dem Laufen der Nase, kommt nun auch noch Reizhusten. Ich bete, dass es nicht auf die Lunge schlägt. Atmung ist wichtig und ich möchte nicht, dass dies ein Schlauch und eine Maschine erledigen. Die Bilder von beatmeten Corona-Patienten führen zu deutlichen Bauchschmerzen. Habe ich nun alle Beschwerden aufgezählt? Ich bin mir nicht sicher. Die Gitarre ist so, wie sie sein sollte. Der Kauf erlöst mich aber nicht von meinem krankheitsbedingten Frust. Ich hoffe auf das Fußballspiel am Abend und einen Sieg des HSV gegen RB Leipzig. Doch die Leistung der Hamburger reißt es nicht raus. Aber mich runter. Dieses Mal halte ich länger durch. Schaue noch die Zusammenfassung alle DFB-Pokalspiele und lege mich dann alleine in das Doppelbett. Am Morgen legt Ingrid sich dazu. Endlich kann ich einschlafen.

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