Tag 2 (vor dem offiziellen Testergebnis)
Die Nachricht vom Ergebnis meines positiven Antigen-Tests löst beim Aufstehen am Mittwochmorgen bei mir irgendwie Auftrieb aus. Das habe ich die Tage auch bei Ingrid feststellen können. Diese Unsicherheit bis zur Eröffnung des Testergebnisses hat sie massiv genervt. Es hatte etwas von positivem Schwangerschaftstest. Nur ist der mit viel Freude verbunden. Meistens! Meine Körpertemperatur liegt unverändert bei knapp über 38 Grad. Etwas Druck auf der Brust ist hinzugekommen. Auch Schluckbeschwerden. Kennt man alles von der alten Grippe, denke ich. Kann man! Muss man nicht haben! Wir trinken am Mittwochmorgen im Bett Kaffee. Die Geschmacksnerven wurden zum Glück durch die Krankheit – zumindest bisher – nicht gestört. Ich genieße noch ein Croissant vom Einkauf am Montag. Es wegzuwerfen ist mir zu schade. Ingrid beginnt nach dem Frühstück mit Brotbacken. Ich telefoniere lange mit Sohn Jan. Das baut auf. Am Nachmittag setze ich mich an den Computer und arbeite an meinem Buchprojekt für das Jahr 2024. Das Manuskript von ‚Ernst‘ ist fertig, aber ich lasse es mir vom Word-Soundmodul vorlesen. Ich fühle mich auf dem Weg der Besserung. Das ist gut und nimmt mir etwas die Angst vor weiteren Problemen. Ein Trugschluss? Oder nur Hoffnung? Nachbarin Britta hat heute Geburtstag. Man verwöhnt uns mit Geburtstagskuchen. Ihr Lebensgefährte Lothar stellt ihn vor die Tür. Echtes Corona-Revival kommt auf. Essenslieferungen von außen! Wie im Jahr 2020. Ich hege den Gedanken, auf den Balkon zu klettern und für die Pflegekräfte zu klatschen. Leider besitzen wir keinen Balkon. Also klatsche ich innerlich. Ingrid ist wohl über den Berg. Sie kommt fein gekleidet die Treppe hinunter. Ich schaue genau hin, es handelt sich um eine Art moderner Morgenmantel. Sie hat sich schon wieder für den Empfang von Besuchern hergerichtet. Nein, natürlich lassen wir niemanden rein. Wir lernen nun die Gebärdensprache, um uns durch das Küchenfenster mit den Nachbarn auszutauschen. Spaß beiseite, wir wissen doch, was sich gehört: Völliger Verzicht auf face-to-face-Kommunikation. Auch bei mir steht Körperpflege an. Ist etwas kurz gekommen die letzten Tage. Verständlicherweise. Ich nehme also eine Dusche. Mit dem kleinen Warmluftgebläse aus dem Wohnmobil heize ich, zu meiner gesundheitlichen Sicherheit, das Badezimmer vor. Beides mit schlechtem Gewissen. Ich möchte nicht mit schuld sein an der Zerstörung des Planeten. Also schnell geduscht, ohne Haare und sofort wieder anziehen. Keine Sekunde zu lang Gas und Strom verschwenden. Dieser gehetzte Vorgang wirft mich körperlich um Stunden zurück. So, als habe ich einen Zug bekommen (nein, nicht den der Bahn). Ich fühle Schüttelfrost und greife zum ersten Mal nach einer Wolldecke. Nehme einen Joghurt-Trunk zu mir. Wir hatten ihn für Enkel Joris gekauft. Mangels Besuchsverbot konnte er ihn nicht trinken und bevor er abläuft … doch die Milch verursacht Reiz im Rachen. Dazu Husten und jegliche Freude auf Genesung weht dahin, wie Sand im Wind. Ich bekomme etwas Panik. Zu früh gefreut? Unterschätzt? Der Simulant von Zimmer …! Nein! Ablenken ist angesagt. Ingrid und ich schauen also ,Play-List‘, eine Netflix-Serie über Daniel Ek, den Gründer des Streamingdienstes Spotify. Später lese ich die Gitarre & Bass und blicke hin und wieder zur Ibanez Gitarre. Das baut mich etwas auf und lenkt ab. Der Hunger hat sich zwischenzeitlich verändert. Das ist eigentlich gut. Einige Pfunde könnten runter. Ingrid spürt den gleichen Verlust an Hungergefühlen, erklärt sie. Trotzdem kocht sie abends eine Kleinigkeit und ich zwinge mir die leckere Mahlzeit hinunter. Ein kleines Eis verursacht am Abend erneut Hustenreiz und Beschwerden. Ich nehme mir vor, auf alles Milchhaltige bis zur endgültigen Genesung zu verzichten. Nein, Milch im Kaffee muss bleiben. Das bisschen. Ich bin konsequent. Verzichten gehört zum Krankenstand. ,Wie viele Dinge es doch gibt, die ich nicht brauche!‘, soll Sokrates vor rund 2.500 Jahren mal gesagt haben. Mir geht es ähnlich. Tochter Suzanne ruft an. Auch sie fühlt sich seit gestern leicht unwohl. Sie ist geimpft und hatte auch schon den Virus. Aber das ist ja, bekannterweise, keine Garantie. Suzy überlegt, ob die Ansteckung mit dem Virus beim gemeinsamen Abendessen letzte Woche im Restaurant an der Ostsee stattgefunden haben könnte. Ein jugoslawischer Grieche mit Corona! Passt! Ich nehme mir vor, trotz meiner Abneigung gegen Masken, diese über Herbst und Winter wieder in Geschäften anzulegen. Ingrid stimmt mir zu. Auch sie ist genervt von dem dämlichen Virus. Möchte alles erdenkliche tun, um die nächsten Monate davon verschont dazu bleiben. Meine Rückenbeschwerden sind nahezu unerträglich und ich nehme vor dem Zubettgehen eine Schmerztablette. Das macht Sinn, denn ich schlafe gut und schnell ein.
Weiter mit Teil VII