Tag 0 – Offizielle Bestätigung einer Corona-Infektion
Ich werde um drei Uhr in der Nacht auf Donnerstag wach. Ich fühle mich kalt, untertemperiert. So, als ob ich in der kalten Erde liege. Dabei befinde ich mich in meinem Bett. Doch es hat etwas von Grabstätte. Mein Shirt ist durchgeschwitzt. Auch die Bettdecke. Ich wanke zur Toilette, wechsele die Kleidung und lenke mich ab, indem ich über den Text zum neuen Krimi-Song ‚Stefanie’ nachdenke. Danach schlafe ich schnell wieder ein. Am Morgen werde ich zusammen mit Ingrid wach. Sie kommt aus ihrer Notunterkunft und schaut nach mir. Ich habe ihrer Aussage nach einen knallroten Kopf und erkläre ihr extrem zu frieren. Meine Körpertemperatur beträgt laut Messung 36,2 Grad und ich empfinde es wie unterwegs ohne warme Kleidung auf einer Expedition am Nordpol. Dafür hat die Schmerztablette gewirkt und die Rückenbeschwerden sind noch immer verschwunden. Glück auf! Das wird auch über den Tag so bleiben. Ich stolpere runter in die Küche und habe etwas Angst vor auftretenden Kreislaufproblemen. Hatte ich die bei meiner Ausführung zu allen auftretenden Beschwerden schon genannt? Ich bin mir unsicher. Beim Frühstück zeigt sich mein Hunger. Ich genieße die Eier und Ingrids frisch gebackenes Brot. Am frühen Morgen ist endlich die Mail vom Labor eingetroffen. Nun gehöre ich auch zu den Privilegierten mit echtem Corona-Zertifikat. Ich überlege, einen Verein zu gründen. So wie Kriegsveteranen oder die Überlebenden der Titanic. Verein der Corona -Überlebenden e. V. Ingrid nennt mich einen Träumer (but I´m not the only one). Sie lacht dabei. Laut Körpertemperatur fantasiere ich aber nicht. Die Herbstsonne draußen reißt nicht ab. Ich will mich ärgern, dass es gerade jetzt so schön draußen ist, wenn es mir nicht gut geht. Aber gefühlt das ganze Jahr hat uns das schöne Wetter schon beglückt. Am Nachmittag machen wir trotzdem den Kamin an. Das tut gut und ich bekomme wieder Lust auf das Schreiben. Ich entscheide mich dazu, ein Tagebuch über meine Corona-Infektion zu verfassen. Ich setze es gleich um und schon nach wenigen Minuten teile ich Ingrid meinen Entschluss mit. Ich lese ihr die ersten Sätze vor. Sie ist begeistert und unterstützt meine Idee, Persönliches preiszugeben. Auch Tochter Suzanne hat keine Einwände und teilt mir das bei einem Telefonat mit. Den Nachmittag verbringe ich mit Schreiben. Ich möchte das Erlebte so schnell wie möglich zu Papier bringen. Zu schnell ist vieles vergessen oder ich kann es zeitlich nicht mehr zuordnen. Ich bastele ein Foto für Instagram und Facebook und spüre bald, wie kräftezehrend die Arbeit am Computer doch sein kann. Es geht wieder zurück auf die Couch. Die Spotify-Doku reißt es etwas raus. Kaffee, dazu der leckere Kuchen von Nachbarin Britta und ich fühle mich in der Lage, weiter zu schreiben. Die Gedanken sind schneller als meine Finger auf der digitalen Tastatur. Aber das nutzt nichts. Ich bremse die Gedankenströme, um nicht das meiste zu verlieren. Ingrid hat inzwischen Reis gekocht. Dazu gibt es Hähnchen und Gemüse. Auch eine Soja-Soße. Lecker. Es geht aufwärts. Meine Rückenbeschwerden sind noch nicht zurückgekehrt. Aber meine Lebensfreude und das Durchhaltevermögen. Ingrid schaut währenddessen ,Madame Secretary‘ oder so. Das stört mich nicht. Beim Schreiben fühle ich mich fast beschwerdefrei. Ich überlege, ob ich Ingrid bitten soll, wieder das Bett mit mir zu teilen. Wir können uns ja gegenseitig nicht mehr anstecken. Zwei Infizierte in einem Zwei-Personenhaushalt. Traumhaft. Am Abend findet eine WhatsApp-Video-Schalte mit Enkel Joris, seinem Papa Jan in Irland und unserer Tochter in Volksdorf statt. Wir bekommen Einblicke in die unberührte Landschaft der Grünen Insel und ich muss meine musikalische Neuanschaffung, die E-Gitarre, zeigen. Es läuft gut!
Ich hoffe, die Nacht wird nicht wieder zum Feind.