TEIL XI – Tag 4 (nach offizieller Bestätigung der Corona-Infektion)

Tag 4 danach – Montag

Eigentlich ist krank sein eine entspannte Sache. Vor allem, wenn man keine Beschwerden hat. Und, wenn die Krankheit nur vorübergehend ist. Mir geht es am heutigen Montagmorgen tatsächlich gut. Sicher, der Rücken … aber das lässt sich nur ändern, wenn ich das Haus wieder verlassen darf. Ich drehe ja schon meine Runden auf dem Wohnzimmerparkett. Aber die Schleifspuren, die dort im Holz entstehen…! Nein, ich glaube morgen wird alles vorbei sein. Der Test wird mich aus der Quarantäne entlassen. Einer von Mamas Lieblingssprüchen in meiner Kindheit lautete Morgen, Morgen, nur nicht heute, sagen alle faulen Leute! „Ich möchte ja raus und rennen, wandern, Fahrrad fahren!“, schreie ich laut. Ingrid schaut mich entgeistert an und denkt sicher, ich spinne. Geht es euch auch so? Ich glaube, in den 50er und 60er-Jahren sprachen unsere Eltern fast nur in Zitaten. Das war sicher auch einfacher, als sich jedes Mal aufs neue, kindererziehende Sätze auszudenken. Schon die ersten Worte haben gereicht und wir Kleinen wussten Bescheid. Heute gibt es endlose Diskussionen. Zwischen Eltern und Kleinkind. Und wer gewinnt? Natürlich das Kleinkind. Die Helikopter-Eltern haben schlechte Nerven, keine Kraft zum Streiten und geben ruckzuck auf. Anderes Thema: Der milde Herbst reißt nicht ab. Draußen Sonne pur. Bestimmt ist er genau dann zu Ende, wenn ich wieder vor die Tür kann. Dann wird es draußen kalt und nass sein. Aber es wird mich nicht davor zurückschrecken, mich zu bewegen. Die letzten Jahrzehnte hatte ich stets Ziele. Manchmal waren sie zu weit gesteckt. Andere in greifbarer Nähe. Aber ich hatte Ziele. Gerade ist es so, als bewege ich mich von der Hand in den Mund. Ihr versteht? Es ist, wie wenn beim Auto die Kompression abfällt. Da fällt mir ein, wenn die Welt ihre Fortbewegungsmittel mal komplett auf Elektroantrieb umgestellt hat, fallen ja auch diese Vergleiche weg. Dann wird man nicht mehr sagen können:  Auto fängt mit Au an und hört mit o auf. Oder doch? In den letzten Jahren ärgere ich mich immer mehr über Lärm und Abgase. Vor allem im Straßenverkehr. Ingrid schimpft dann. Sie nennt es Altersstarrsinn oder so. Als ich vor Tagen mit jemand gesprochen und mich über ein lärmendes Motorrad unten auf der Straße beschwert habe, hieß es: Wir waren doch auch mal jung. Sicher waren wir das. Aber wird der ohrenbetäubende Lärm dieser zahlreichen, speziell auf Show getrimmten Auto- und Motorräder von den Jungen produziert? Oder von den Junggebliebenen? Ich glaube tatsächlich, es sind eher die Alten, die sich produzieren. Sie lassen es, im wahrsten Sinne des Wortes noch mal richtig krachen. Die Jugend hat doch keine Zeit für solche Späße. Sie demonstrieren für den Klimaschutz, ketten sich an Gleise und kleben sich auf Straßen und in den Museen fest. Doch die Polizei stört diese motorunterstützte Krawallmacher ja kaum. In Hamburg vielleicht. Dort richtete man eine spezielle Sondereinheit namens ,Poser‘ ein. Aber hier in unserer kleinen Stadt? Die letzte Blitzerbox, die man in Oldesloe aufgestellt hat, das muss Ende der 50er-Jahre gewesen sein. Die Apparatur bestand noch aus einem Kasten von der Größe eines Fernsehers und einer Kamera mit Blitz, die sich mittels Dreibein-Stativ auf den wackligen Beinen hielt. Also lang, lang ist es her. Auch Verkehrskontrollen finden hier eher selten statt. Zumindest nicht, dass ich davon wüsste. Nein, ich sollte mich nicht aufregen. Bin ja noch angeschlagen. Ingrid sieht das anders. Ist vielleicht so ein Altersding. Den Fahrzeuglärm, meine ich. Und der funktioniert wohl nur bei Männern. Wie dem auch sei, erschreckt es die Mitmenschen. Und da es im Vorbeifahren und bei Zweiradfahrern anonym unter Helmen geschieht, kann man den Deppen noch nicht einmal zur Rechenschaft ziehen. Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch keinem anderen zu, hätte unsere Mutter argumentiert. Und wenn die Industrie auch noch Systeme anbietet, um Motorenlärm zu erhöhen und Abgassysteme zu umgehen… was will man da sagen? In näherer Nachbarschaft sind hin und wieder zwei solcher Lärmmobile zu hören. Als ob Michael Manousakis von den Steel Buddies den Neunzylinder seiner russische Antonow AN-2 startet. Muss ich mir auch nicht geben. Aber Themenwechsel! Corona, so glaube ich, ist ein Mix aus allen Beschwerden, die der Körper so zu bieten hat. Bunt gemischt und bei jedem individuell. Was ist eigentlich aus den Medikamenten gegen Corona geworden, die der Gesundheitsminister millionenfach eingekauft hat, frage ich Ingrid? Sie hat keine Antwort für mich. Meint, ich solle zum Arzt gehen und sie mir verschreiben lassen. Aber das stellt doch das erste Problem dar. Bei einer Coronainfektion möchte mich doch kein Arzt in seine Praxis hineinlassen. Dann rufe halt an, die schicken die Rezepte doch per Post, kontert meine liebe Frau. Auch nicht so einfach, gebe ich zurück. Da hängst du stundenlang in der Warteschleife. Wie so viele andere während der Corona-Epidemie haben es auch die Ärzte geschafft, die über die Jahre eingerissenen schlechten Angewohnheiten abstellen zu können. Zu Lasten der Patienten. Arzthelferin Ingrid meint, es wurde auch Zeit. Der überwiegende Teil der Patienten bestände eh bloß aus Rentner und Rentnerinnen, die die Praxen mit mehr oder weniger fadenscheinigen Krankheiten belagern würden. Aus Langeweile und auf der Suche nach Kommunikation. Ich gebe mich geschlagen. Wie hat Mama immer gesagt: Der Klügere gibt nach.

Gibt es noch ein Folg? Ja, es gibt sie – morgen!