TEIL XII – Tag 5 (nach offizieller Bestätigung der Corona-Infektion)

Tag 5 danach  – Dienstag

Der Antigen-Test liegt schon ausgepackt auf dem Esszimmertisch herum. Ähnlich einem Lottoschein, der meine Hoffnung auf eine Million Euro Gewinn am Köcheln hält. Der Hersteller hat ein Teststäbchen eingepackt, das ist sooooo lang, damit ließe sich der Test auch bei einer Giraffe bis ins Hirn schieben. Das ewig lange Teil suggeriert mir, je tiefer, je sicherer. Aber ich warte noch. Erst frühstücken. Nichts überstürzen. Der Test ist ja nur subjektiv. Er zeigt nicht meine Gefühlslage an und deckt nicht meine noch immer anhaltenden Beschwerden auf. Im Hamburger Abendblatt schreiben sie heute von einer ,Twindemie‘. Corona und Grippe in Kombination. ,Corippe‘ sozusagen. Es macht mir schon Angst, dass statt endgültiger Abhilfe immer mehr Abarten des Virus hinzukommen. Im nächsten Jahr, denke ich mit Entsetzen, kommt vielleicht noch etwas Neues hinzu und die Viren tanzen dann im Trio. In meinem Körper. Unerlaubt. Dagegen sind die aktuellen Politik-News eher zum Amüsieren. Nein, nicht darüber nachdenken. Gesundheit ist gerade der Schlüssel. Auch das Wetter spielt verrückt. Ich überlege, ob es schön wäre, in Deutschland dauerhaft Sommer haben zu können. So wie in den vier Jahren, die unsere Familie in den 80ern in Portugal verbringen durfte. Damals lebten wir weit entfernt von der Republik. Waren sogar vor der Tschernobyl-Katastrophe relativ sicher. Das Corona-Virus hat aber auch leider Portugal heimgesucht. Es würde mir tatsächlich gefallen, ständig in einer 3/4 langen Hose rumlaufen zu können. Außer an den etwas kühleren Tage über den Jahreswechsel in Südeuropa. Sicher könnte ich mir das vorstellen. Ingrid tendiert eher zu milden Wintern in der Heimat. Schnee nur an Heiligabend und den beiden Weihnachtsfeiertagen. Jedem das seine. Nein, leider trifft das nicht zu. Ich werde übermütig. Ingrid spricht sogar von renitent. Wäre eine Begleiterscheinung der Genesung, erklärt sie mit kritischem Blick.

Der Briefträger läuft gerade am Fenster vorbei. Nein, nur zu den Nachbarn. Ich erkenne nur den unteren Teil. Die nackten Beine. Der Rest ist vollgepackt mit Paketen. Ist es nicht an der Zeit, unser Konsumverhalten zu verändern? Es macht doch keinerlei Sinn, den konsumgestörten Bundesbürger von Paketzustellern therapieren zu lassen. Hatten wir uns nicht mal auf die Fahne geschrieben, nur noch Regionales kaufen zu wollen? Doch inzwischen schleppt der Paketbote palettenweise bayerisches Bier in die norddeutschen Haushalte. Obwohl das inzwischen jeder gute Getränke-Markt anbietet. Also nicht dass ihr meint, wir … nein, so weit sind wir noch nicht. Die Petersilie von Fleurop schicken lassen, reicht. 😉 ich gestehe, ich bin das lebende Beispiel für Rückzieher. Das schlechte Gewissen ist schnell wieder getauscht gegen den Standard. Ja, Vorsätze! Was aus dem Corona-Test geworden ist, wollt ihr wissen? Der liegt gut und trocken auf dem Tisch. Hat doch Zeit!

Aber nein, los gehts. Nach wenigen Minuten ist es offiziell: Meine Leidenszeit ist laut Testergebnis vorüber. Auch visuell. Ab heute darf ich wieder vor die Tür. Muss mich nicht mehr verstecken. Ingrid und ich werden gleich aufbrechen zu einem Spaziergang. Ich hätte mir ein T-Shirt drucken lassen sollen. Zeit genug hatte ich ja. Text: Die Leidenszeit ist vorbei! Oder vielleicht Frei-Getestet! Keine Ahnung. Irgend so was. Ärgerlich. Damit könnte ich jetzt glänzen. Vielleicht sollten wir Schutzmasken in verschiedenen Farben produzieren? In Bronze für einmal von Corona genesen? In Gold für dreimal überstanden? Ich finde, diese Leidenszeit wird nicht angemessen gewürdigt. Weder vom Staat noch von einem selber. Sicher ist man froh darüber wieder gesund zu sein. Aber so ging es mir auch nach jeder simplen Grippe. Bin ich jetzt dem Sensenmann vom Spaten gehüpft? Ich bin mir sicher, ohne die Impfungen wäre es nicht so glimpflich abgegangen. Was ist eigentlich aus den Corona-Leugnern geworden? Verstorben? Jetzt übertreiben sie aber!

Ich öffne die Haustür, trete heraus. Rieche die seit Tagen unbekannte Freiheit. Ingrid schlägt einen kurzen Spaziergang vor. Ich stimme zu. Wenn schon Freiheit, dann richtig. Erst möchte meine liebe Frau zum ALDI spazieren (drei Kilometer Fußstrecke), dann zum LIDL (zwei Kilometer) um eine Kleinigkeit einzukaufen. Ich schlage das Kaufland vor. Es liegt quasi auf der anderen Straßenseite. Sie erzählt von fehlender Bewegung und dem Verlust von Gesundheit und davon, nur durch die Botanik laufen zu wollen. Schlechtes Gewissen überkommt mich. Ich gebe auf. Ziehe Funktionsunterwäsche an. Draußen ist es halt Herbst. Meine liebe Gattin schnallt einen riesigen Rucksack um. Wie ein Fallschirm. Sieht nicht nach Einkaufen von Kleinigkeiten aus. Der Weg durch den Wald zum LIDL hat einen kleinen Höhenunterschied, der mir vorkommt, wie Messners letzte Besteigung eines Big Seven. Ingrid ist eher außer Puste als ich. Das spornt mich an. Beim LIDL angekommen, warte ich seitlich des Discounter-Parkplatzes, bis meine Ehefrau fertig eingekauft hat. Sie erscheint Minuten später mit einem prall gefüllten Rucksack. Sogar die Spoiler hat sie noch ausgefahren. Damit alles Platz findet. Ich kenne das. Vorsatz ist es nur Butter zu kaufen und anschließend helfen einem zwei Discounter-Mitarbeiter, den schweren Einkaufswagen zum Fahrzeug zu schieben. Ich trage die Blumen.